Fine Street Photography mit dem Herzen gesehen [Magdalena Röseler im Interview]

Heute habe ich die Ehre Magdalena Roeseler im Gespräch zu haben. Die Wahlschweizer Streetfotografin mit dem Auge für dramatische Bildkomposition und ausdrucksstarke Momentaufnahmen hat sich die Zeit genommen um über Ihr Leben mit der Fotografie zu sprechen. Vielen Dank & viel Spaß mit dem Interview. Und vergesst nicht Euch die coole Serie aus Warschau auf Ihrer facebookseite anzuschauen.

Hallo Magdalena, wer bist Du? Ein kurzer (Ab-)Satz über Dich und Dein Leben mit der Fotografie, für alle die Dich nicht kennen!
Ich komme ursprünglich aus Polen. Mein Vater hat mir, als ich klein war, eine Smiena gekauft und ich habe fotografiert und meine Fotos selbst entwickelt. Es gab damals keinen künstlerischen Anspruch, der mich angetrieben hat. Ich wollte mir Erinnerungsstücke erschaffen. Das war alles.
Und ich hatte die Möglichkeit nur SW Aufnahmen zu machen. Irgendwann begann ich zu malen und Fotografie wurde zur Nebensache. Erst nach vielen Jahren, als ich einem berühmten Streetfotografen begegnete, traf es mich wie ein Blitz. Ich habe gemerkt, dass Fotografie mein Medium ist und mir unendlich viel Freude bereitet. Seitdem begleiten mich meine Cameras fast immer und überall.

Du bist ja Streetfotografin. Was macht für Dich den besonderen Reiz aus?
Streetfotografie ist eine sehr anspruchsvolle Art der fotografischen Kunst. Da gibt es keine Möglichkeit etwas zu arrangieren und vorzubereiten. Es geht darum echte Momente festzuhalten, Augenblicke aus dem Leben, so wie sie sich wirklich ereignen.
Streetportraits schätze ich dabei besonders. Gesichter können so unglaublich viel erzählen.

Recht am Bild – das ist die Frage, die jeden Streetfotografen in Deutschland beschäftigt. Darf ich es. Wie darf ich das Bild verwenden. Was mache ich wenn mich jemand verklagt. Dieser ganze Kram. Wie stehst Du dazu?
Ich frage mich was hätten wir heute von so wunderbaren Künstlern wie Maier oder Bresson wenn sie sich durch solche Zweifel abhalten liessen? Heute sind wir dankbar und begeistert, dass wir die Dokumente dieser Zeit sehen dürfen.

Mein Bestreben ist das Leben und die Menschen so zu zeigen wie sie heute und hier sind. Wenn jemand sieht, dass ich ein Foto von ihm mache und sagt nichts, dann nehme ich es wie eine stille Einwilligung hin. Wenn jemand möchte, dass ich das Bild lösche, dann tue ich das. Das passiert aber extrem selten. Die meisten Menschen fragen erst warum ich sie fotografiert habe und sind dann eher geschmeichelt und zufrieden.

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Hast Du Grenzen in der Streetfotografie? Wenn ja welche sind das?
Ja, die habe ich. Meistens entscheide ich ganz intuitiv, ob ich in einer bestimmten Situation ein Foto schiessen kann. Ich versuche das so zu tun, dass es für mich vertretbar ist und sich niemand verletzt fühlt. Ich habe nicht vor jemanden bloss zu stellen oder lächerlich zu machen. Es gab schon einige Menschen, die sich auf meinen Fotos erkannt haben und sie waren positiv überrascht. Ich hatte keine Probleme dadurch.

DU hast 179 Fotos im Internet. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, wie viele Bilder heute auf eine Speicherkarte passen. Wie wählst Du Deine Fotos aus? Was machst Du mit denen, die Du nicht zeigst?

Das ist genau der Punkt – die Riesenmenge an Fotos im Internet. Ich möchte nur die Bilder zeigen, die ich gut finde, die mich bewegen oder welche ich als ästhetisch und schön empfinde. Es kommt nicht auf die Menge an.

Es gab eine Zeit da hab ich mir sehr viele Gedanken darum gemacht welche meiner Arbeiten unter die Leute gehen dürfen. Das ist jetzt anders. Gefällt mir ein Bild dann nichts wie raus in Welt damit.

Monochrom? Dein „Best of 2013“ auf youtube enthält nur Monochrom-Aufnahmen, aber Du hast immer mal wieder Farbakzente. Was muss ein Foto für Dich haben, damit es in Farbe erscheint?
Wenn Farbe als Motiv oder ein wichtiger Teil des Bildes fungiert, lasse ich das Bild farbig. Farbe ist nicht sinnvoll wenn sie die Aufmerksamkeit des Betrachters von dem tatsächlichen Thema ablenkt.

Kontraste, Rahmungen, Schatten, wie auch Timing spielen eine große Rolle in Deinen Werken. Wie siehst Du Licht und wie viel davon ist digitale Dunkelkammer? Wie lange wartest Du an manchen Stellen um den perfekten Moment zu erwischen?
Ich bearbeite meine Bilder meistens nur minimal. Ehrlich gesagt kann ich das gar nicht. Ich befasse mich mit der Bildbearbeitung nur in dem für mich notwendigen Rahmen.
Manchmal, wenn ich mich an einem interessanten Ort befinde, warte ich ein paar Minuten ob sich eine spannende Situation ergibt, aber nie sehr lange. Manchmal komme ich an eine Stelle wieder in der Erwartung des richtigen Augenblicks aber meistens habe ich keine Vorstellung davon wie das Bild aussehen soll sondern drücke ab wenn mich eine Situation anspricht. Das ist das was mir eine grosse Freude macht – wenn plötzlich etwas vor meinen Augen entsteht, wenn sich etwas entwickelt was ich dann einfach abbilden muss. Dann ist es wie in meiner Kindheit: ich möchte einfach die Erinnerung an diese Momente oder Menschen für mich festhalten.

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Wie verändert sich Deine Herangehensweise in unterschiedlichen Kulturkreisen/Ländern? Wie sind die Reaktionen auf Deine Streetfotografie wenn Du wahrgenommen wirst?

Ich merke schnell wie die Menschen in einem Land auf mich und meine Camera reagieren. Es gibt da grosse Unterschiede. ZB in Indien wollten die meisten Menschen von mir fotografiert werden. Sie haben grosse Freude daran und fordern jeden, der eine Camera trägt, dazu auf Bilder von ihnen zu machen.

Ganz anders war es in Tokyo. Grundsätzlich bin ich sehr einfühlsam und versuche mich an die jeweilige Kultur anzupassen. Das ist manchmal sehr schwierig denn es gibt Länder wo eine Camera sehr ungern gesehen ist. Ich möchte aber natürlich trotzdem etwas mitnehmen und zeigen können. Ich lasse mich einfach von meinem Bauchgefühl leiten der mir meistens ziemlich zuverlässig anzeigt ob ich abdrücken kann oder nicht. Wenn Zurückhaltung angesagt ist dann komme ich mit weniger Bildern zurück von einer Reise und das ist ok so.

Du veröffentlichst Deine Fotos unter eine Creative Commons Lizenz. Viele Fotografen haben davor Angst, dass sie kein Geld verdienen, oder beklaut werden, oder andere damit Geld verdienen. Was sind Deine Erfahrungen damit?
Es ist mir eine Freude wenn ich sehe, dass Menschen oder Firmen meine Bilder mögen und gebrauchen können. Warum auch nicht? Wozu mache ich sie? Ich habe Freude daran und es ist um so schöner wenn auch andere Freude an meinen Bildern haben.

Was macht eine gute Kamera für Streetfotografen aus?
Ich erinnere mich an eine Situation als wir zu dritt unterwegs waren. Irgendwann sind wir in eine Bibliothek gegangen und wollten dort in der stillen, schönen Atmosphäre ein paar Fotos machen. Zwei von uns hatten eine kleine Olympus und ein Kollege hatte eine Nikon Vollformat bei sich. Als sich plötzlich eine Situation ergab haben wir alle in Serienmodus abgedrückt. Du kannst Dir vorstellen wie sich das anhörte als in der Stille des Leseraumes der Nikonfotograf das Feuer eröffnete 🙂

Es geht also darum optisch und akustisch nicht aufzufallen. Ich möchte auch, dass meine Camera möglichst leicht und handlich ist damit ich sie überall mitnehmen kann und sie mir auch bei längeren Ausflügen nicht zu schwer wird. Um es auf den Punkt zu bringen: leicht, unauffällig und klein. Alles andere ist weniger wichtig.

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Welche Geschichte von Deinen Reisen bringt Dich auch nach Jahren noch zum Lachen und welche treibt Dir Wehmut ins Herz?
Die Geschichte die ich oben erwähnte ist für mich immer wieder lustig. Das war eine tolle Situationskomik.

Als ich in den Slums von Mumbai unterwegs war fand ich es unglaublich mit welcher Offenheit und Freude die Menschen dort auf mich zu kamen. Ich wurde in eine Wohnung eingeladen und die Menschen hatten grosse Freude daran fotografiert zu werden. Besonders hat ihnen gefallen die Bilder danach auf dem Cameradisplay anzuschauen. Ich fand es sehr schön, dass ich inmitten dieser Armut den Leuten – besonders den Kinder – eine kleine Freude bereiten konnte.

Welchen Tipp kannst Du einem Anfänger geben, der seine Fotos sofort verbessert?
Vergiss nicht: DU machst die Bilder! Nicht die Camera! Benutze also das Zubehör welches dir Spass macht und womit Du gerne unterwegs bist. So wie ein Ferrari keinen besseren Fahrer aus Dir machen wird, so wird eine Leica keinen besseren Fotografen aus Dir machen. Du kannst also auch ein Iphone benutzen wenn nichts anderes da ist. Höchstwahrscheinlich wird das niemand merken.

Je nachdem welchen Anspruch Du an Dich hast wirst Du vielleicht Phasen der Frust und Unzufriedenheit erleben. Es gilt diese so hinzunehmen und dann weiter zu machen. Mach das was Du als schön und interessant empfindest und versuche nicht ALLEN zu gefallen. Das wird sowieso niemals möglich sein. Hole Dir Anregungen von den Fotografen die Dir gefallen. Schau genau wie sie fotografieren und scheu Dich nicht zu fragen. Am Besten kann man direkt in der Praxis lernen – also Kurse die ein bestimmtes Thema vorgeben sind sicher eine gute Möglichkeit zu lernen. Man kann sich ausprobieren, bekommt ein konkretes Thema (nicht alle haben immer wieder neue Ideen), kann sich mit anderen austauschen und schauen wie die Anderen an die Sache heran gehen.

Höre Dir deine Kritiker an und versuche daraus zu lernen, wobei es wichtig ist nicht alles auf die Goldwaage zu legen.
Lerne erstmal die wichtigsten Regeln bevor Du sie brichst! Denn nur bewusstes Abweichen von den Regeln macht Sinn. Es wäre sicher besser wenn Du den Ausdruck Deiner Bilder zB durch die Unschärfe ganz willentlich hervorrufen kannst.
Du kannst Dir vornehmen zB jede Woche etwas Neues zu lernen und umzusetzen.

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Nenne uns bitte ein Buch, welches das Leben unserer Leser verändern wird.

Diese Frage ist reine Folter für einen Bücherwurm wie mich. Ich habe schon gelesen als ich 4 Jahre alt war und mittlerweile sind es so viele Bücher… Aber ich will es versuchen:

Der kleine Prinz* von Antoine de Saint-Exupéry. Er war so schlau und sagte: „ Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das wesentliche ist für die Augen unsichtbar“.

5 Quickshots (fett ist MagdalenasAntwort):

Bauch oder Kopf?

Handwerker oder Künstler?

Festbrennweite oder Zoom?

Asien oder Naher Osten?

Organisch oder Geometrisch?

Vielen Dank für Deine Zeit & viel Glück bei all Deinen fotografischen Projekten. All Fotos in diesem Artikel wurden von Magdalena Roeseler geschossen und unter der CC 2.0 share alike verwendet.